Seit fast unglaublichen 60 Jahren spiele ich Schach. Dabei geht es mir im Vergleich zu anderen Schachsenioren noch einigermaßen gut. Der sportliche Abstieg jedoch ähnelt einem stetigen Verkalkungsprozess, einhergehend mit leichtem Frust und doch auch seltsamen Nostalgieschueben.Ja früher war fast alles besser, vor allem die INGO – DWZ – und ELO Zahlen.Was tun? Aufhören ? (wenn es am schlimmsten ist?) Nein! Und nochmal Nein!
Sanft entschlossen probierte ich zeitweise , die von mir gewohnten Eröffnungssysteme abzulegen, vor allem die risikobehafteten Gambits. Traue meinem Gedächtnis nicht mehr gänzlich und verliere neuerdings den roten Faden und natürlich auch die Partie. Deprimierend auch der Versuch, mich in ein Doppelfianchetto einzunisten und auf Fehler des Gegners zu warten.Die alten Rezepte will ich über Bord werfen und schicke mich an, ein ziemlich skurriles Eröffnungssystem (mit Weiß) als Rettungsmöglichkeit auszuprobieren.
Letzte Woche die Generalprobe: Ich betrat den Spielsaal , setzte mich an Tisch 2, schraubte – mittlerweile nicht nur bei Profis Gewohnheit – die weißen Figuren schön einzeln in ihre Felder.
Kleiner Rundgang , Smalltalk und freundliche Witzeleien. In Gedanken schwankte ich noch ein wenig , wie ich tatsächlich eröffnen sollte, zumal mein Gegner recht spielstark ist. Zurück zu meinem Brett. Ich sehe plötzlich an der gegenüberliegenden Wand ein imposantes Bild , leicht links von unserem Brett.
Welch ein Zeichen an der Wand! Also mit leicht geschwellter Brust: 1. Sc3 !
Tatsächlich kam ich gut in den Parcours und fühlte mich leicht beschwingt.Doch allmählich wurden die Hindernisse immer anspruchsvoller. Ich drohte zu stürzen, konnte mich dann doch noch knapp im Sattel halten. Glückliches Remis!
Alternativ zu dem Wutausbruch von Magnus Carlsen gibt es glücklicherweise andere Herangehensweisen, mit Niederlagen umzugehen. Aus meinem Bücherschrank zupfte ich unwillkürlich einen veritablen Klassiker, der Haltung und Humor als Begleitmittel zelebriert:
KNAURS SCHACHBUCH von Martin Beheim – Schwarzbach (1953)
Ein Jahrhundert Schach in Meisterpartien –
DENKREDE AUF DIE BESIEGTEN (Auszug)
„Wenn von so hohen und edlen Dingen die Rede ist, ziemt es sich wohl, derer zu gedenken, die Dienste und zu Ehren Caissas, der Göttin des Schachspiels, auf der Walstatt blieben. Der Ruhm, der nach so vielen Stunden heftigen und leidenschaftlichen Nachdenkens in reichen, farbigen Kaskaden fließt, kommt immer nur dem zugute, der, nach einer alten Redensart, den vorletzten Fehler gemacht hat. Er, der Sieger, darf sich brüsten, er sei der bessere Mann gewesen. Wer aber den letzten Fehler gemacht hat, wird matt und muss sich und die Seinen mit vielen Darlegungen abspeisen lassen, warum er dran glauben musste.
Welch ein beredter und tiefsinniger Ausdruck ist das doch: dran glauben müssen. Ob er wohl aus dem Reiche des Schachbrettes stammt? Denn der Besiegte, wenn er es ernst nimmt mit seiner Niederlage und sie ums Verrecken nicht wahrhaben will, setzt sich wieder ans Brett, allein oder mit seinen Kiebitzen und Gefolgsleuten, und analysiert sich schier noch einmal zu Tode, um herauszufinden, woran es denn gelegen hat – bis er „dran glaubt“, nämlich an seinen Fehler, und wie er es hätte besser machen können, und er fragt sich bis zum Hirnerweichen, warum in aller Welt er es nicht besser gemacht hat, da er doch vieles so trefflich gemacht hat. Schon um des Fegefeuers dieser Analysen willen gehört ihm unser Mitgefühl.“
Das bewegte Leben des Autors, das auch weit über das Schachbrett hinausragte, ist vor einigen Jahren auf der CHESSBASE – Seite gewürdigt worden:
Ein weiterer humorgeprägter Altmeister , Josef Krejcik hat ebenfalls wunderbare (selbst) ironische Artikel aus der Wiener Schachszene überliefert.
Hier ein Beispiel wie man mit Niederlagen umgehen kann:
Josef Krejcik : Mein Abschied vom Schach (Auszug)
„Mit Weltmeistern hatte ich zweimal das Vergnügen, in Turnierpartien die Klingen zu kreuzen. Beidemal unterlag ich. Aber beide Partien hatten Begleitumstände, die ich doch registrieren muß. Gleich nach seinem großen Matchsieg gegen Dr. Tarrasch weilte Dr. Emanuel Lasker in Wien. Im Dezember 1908 veranstaltete der Wiener Schachklub eine Vorstellung, bei der Dr. Lasker gleichzeitig gegen Dr. Emil Meitner, Richard Reti und mich Partien mit 2 Stunden Bedenkzeit für 30 Züge spielen sollte. Er hätte also nur ein Drittel der Bedenkzeit seiner Gegner gehabt. Aber Dr. Lasker fasste die Sache praktisch auf. Er setzte sich zunächst vor Reti und hatte das Glück, dass dieser nach ganz wenigen Zügen einen groben Eröffnungsfehler machte und sofort aufgab. Die Affaire hatte kaum zehn Minuten gedauert. Dann setzte sich Dr. Lasker vor den greisen Meister Dr. Meitner, fest entschlossen, dem alten Herrn ein Ehren – Remis zu gestatten. Man spielte ein paar, tausendmal erprobte Züge der „Bindfaden – Variante“ und so um den 15.Zug trug der Weltmeister dem Altmeister zu dessen größter Freude Remis an. Dann aber kam er zu mir. Die beiden anderen Partien hatten ihm von seiner Bedenkzeit kaum 20 Minuten gekostet. Ich sollte nun in einer Partie mit fast gleichen Bedingungen das Objekt für eine weltmeisterliche Glanzpartie werden.
Aber es kam ein wenig anders. Ohne den geringsten Respekt vor dem damals auf seiner Höhe befindlichen Weltmeister steuerte ich sofort auf Verwicklungen los und gewann meinem erlauchten Gegner die Qualität ab. Leider aber benebelte der Siegestaumel nun mein Gehirn und wenige Züge später verlor ich die Qualität zurück, Im grenzenlosen Ärger darüber übersah ich noch eine spielend leichte Remisfortsetzung und so ergab sich ein Turmendspiel, das ich ebenfalls in keineswegs versteckter Weise leicht forziert remis machen konnte. Aber wenn man einmal vernagelt ist, so ist man es ordentlich. Ich fand so ziemlich den dümmsten Zug und verlor. Drei grobe Fehler waren nötig, um eine gewonnene Partie wegzuwerfen! Und dabei kann ich mich keineswegs mit Befangenheit einem Lasker gegenüber entschuldigen. Ich spielte auch nicht übertrieben schnell, sondern machte meine Fehler erst nach reiflicher Überlegung.
Die meisten Bücher, die ich lese und gelesen habe, sind weit von der Schachdroge entfernt. Doch manchmal werde ich überrascht, dass dennoch – ist es Zufall oder Fügung? – eine kleine literarische Schachnote eingearbeitet ist, bei der ich natürlich innehalte.
So geschehen bei der Lektüre von EDNA MAZYA „Über mich sprechen wir ein andermal“ (Kiepenheuer u.Witsch). „Ein brillantes, fesselndes Buch, das ich mit angehaltenem Atem gelesen habe.“ ( Zeruya Shalev).
Seite 226 „…Aber nun zu anderen Themen. Ich will nicht klagen und klage doch: An allen Fronten herrscht Düsternis! Außerhalb des Hauses habe ich keine Verpflichtungen, aber zu Hause hängt alles von mir ab. Und alles zerfällt, Sascha…Ich werde mit den einfachen Dingen beginnen: Von Otto gibt es nichts zu berichten außer dem, was Du längst weißt. Er ist verbittert und deprimiert, und alle sind schuld, nur er nicht. Zum Glück ist er kürzlich einem Schachklub beigetreten und kommt fast nur noch zum Schlafen nach Hause…„
Wer gerne Schachpartien im Garten spielen möchte, kann dies auch in leicht luxuriöser Manier betreiben. Schön dass es auch die entsprechenden Gartenmöbel gibt. In einem Prospekt fand ich eine attraktives, innovatives Beispiel:
Ich habe den Kiebitz des Jahres wahrscheinlich vor einigen Tagen kennen gelernt. Zwar nur kurzzeitig, jedoch umso intensiver und angenehmer im Umgang. Und das kam so:
Verbandsklasse: 1.Rd PSV Duisburg II – Uedem II.
Navi frühmorgens scharf gestellt: Adresse der Lokalität: Haus der sozialistischen Jugend Deutschlands , Die Falken
Also der Polizeisportverein Duisburg Abt Schach und die Falken teilen sich das Revier. Donnerwetter, das hört sich gut an.
Schon ratterten Erinnerungsfetzen durch mein Langzeitgedächtnis: In den 70 er Jahren , als ich ebenfalls sozialistischen Ideen nachhing , lebte ich in einer niederrheinischen Kommune, um dem kleinbürgerlichen Leben zu entkommen. Es war ein stillgelegter Bauernhof , den wir mit 7 Kommunarden bewohnten. Der „Chefideologe“ hatte zu unserer Überraschung etwa 30 bis 40 Falkenkinder und Jugendliche eingeladen, um unser alternativ (sozialistisches) Experiment bekannt zu machen. Treppauf, treppab in hoher Geschwindigkeit schossen die Falken durch die Räume . Natürlich waren es benachteiligte (Arbeiter) Kinder, die besonderer Aufmerksamkeit bedurften. Puh …
Zurück zum Schach. Ich war als Kommunarde ein etwas problematisches Mitglied, da ich – zum Erschrecken einiger Kumpels -, sehr viel Schachtheorie beackerte und den politischen Aufklärungsaposteln nicht immer folgen konnte. „Schach ist ein kapitalistisches Spiel!“ So blaffte mich der „Chef“ immer wieder an.
Zurück nach Duisburg: Altersgemäß und deshalb auch konditionsschwach spiele ich an einem hinteren Brett. Mein Gegner, ein freundlicher junger Mann ,wahrscheinlich Student, saß mir gegenüber.
Er spielte mit Schwarz eine Mischung aus Pirc und Flußpferd , was ihm jedoch nicht so recht gelingen wollte. Er verhaspelte sich und landete mit Qualitätsverlust (nicht falsch verstehen!) in eine schwierige Position, die nur mit großer Anstrengung zusammengehalten werden konnte. Ich bemühte mich – die Versuchung war leider gegeben – mit kombinatorischen „Glanzstückchen“ die Partie zu veredeln. Einfache Tauschaktionen und schnöde Abwicklungen, die tatsächlich möglich waren, ließ ich liegen. Die Sehnsucht nach der blauen Blume kann manchmal auch zu einem blauen Auge führen.
Zurück zum Kiebitz:
Obwohl ich in der Endphase geschwächelt hatte, sah mein Gegner doch irgendwann ein, dass sein Widerstand zwecklos wurde. Er gab dann nach meinem 34. Zug auf :Dc2
Meine Erleichterung war spürbar. Und ich war trotz einiger verpasster Abwicklungen mit mir zufrieden. Mannschaftskameraden eilten hurtig herbei und gratulierten. Das hat man gern, das stärkt den Teamgeist. Das beflügelt die Rückfahrt, für die ich immer eine passende Siegermusik (CD) (Element of Crime) bereit halte. Und das mit offenem Seitenfenster und wehenden Haaren .
Nun kommt die Hauptperson: Der Herr Kiebitz: Freundlicher mittlerer Jahrgang, kommt zu unserem Brett, schaut vorsichtig, ob die Partie tatsächlich schon beendet ist. Mein Gegner notiert seine Niederlage und seufzt ein wenig. „Wieso?“ – fragt der Kiebitz,“ wieso hast Du aufgegeben?“ – Ich erklär ihm kurz mit Hinweis auf die 3 verbundenen Freibauern und der Mehrqualität, dass weiteres Spielen sinnlos ist.
Er stutzt und sagt mit bedächtiger , zurückhaltender Art einen Satz, den ich immer noch im Ohr habe:“ Sie stehen doch auf Verlust!“ „ Nein, nein“, sage ich im freundlichen Ton , mit den 3 Freibauern und der Qualität “ – und zeige ihm die entsprechende Figurenkonstellation, „ das spielt sich von allein.“ Er bleibt höflich, er ist kein Kiebitz, der laut wird, Recht behalten will (um jeden Preis), sondern zeigt sachte die nächsten 2 Züge , die tatsächlich eindeutig meine Verluststellung aufzeigen: … 34… De4 ! 35. Le3 Txe3 !
Schüchterne Entgegnung meinerseits:“ Aber die 3 Freibauern, die gewinnen doch, oder machen wenigstens Remis“ , klingen leicht schwachbrüstig. Der Rechner hat es deutlich bewiesen.
Ich bedanke mich bei dem fairen Kiebitz, der so wunderschön aus der Art gefallen ist: Sehr fair, sehr angenehm.
mit sehr freundlicher Genehmigung des Comiczeichners Stephan Rürup. Weitere eindrucksvolle Werke zu bestaunen auf seinem Blog : HÖHERE GEWALT (hoeheregewalt.blogspot.com)
Mannschaftskampf gegen Solingen V (Verbandsklasse).
Am 6 Brett durfte ich gegen einen sehr talentierten, aufstrebenden Junior spielen, der vor kurzer Zeit Niederrhein – Meister der U 16 geworden war. Sein Name Shivkunar, Siddarth. Ich assozierte den Namen mit Anand und ein wenig Hermann Hesse.
Der Altersunterschied von 57 Jahren fiel deutlich auf, zumal am Nachbarbrett, sein noch jüngerer Bruder gegen einen ebenfalls betagten Mannschaftskameraden antrat. Das Kind war ebenfalls schon zu Meriten gekommen in der U 10 Abteilung.
Der immer wieder besungene Kampf zwischen Talent und Routine feierte mal wieder eine kuriose Fortsetzung. Das Kind glänzte in furiosem Angriff und gewann leichtfüßig gegen einen deutlich zerrütteten Routinier. Bevor ich ihn trösten konnte, nahm er mich schnell beiseite und stellte klar, dass er mit dem Schachspielen aufhören werde! Tja, vielleicht geht die Routine mit den Jahren in Vergesslichkeit und Tapsigkeit über?!
Ich wäre ihm beinahe gefolgt, als ich plötzlich im 15.Zug eine Figur einstellte. Einfach, zack, den Springer stehengelassen, der wenige Zentimeter entfernt von seiner Dame geschlagen wurde. Fassungslos blickte ich ins Leere. Wollte schnell aufgeben, um die Schmach zu mindern. Doch flüsterte plötzlich eine leise Stimme in mein Ohr:“ Gib nicht auf, Du kannst seine Dame fangen!“ Es war die Schachgöttin CAISSA, die sich eingeschaltet hatte , meine entfernte Geliebte, die auch aus großer Distanz grobe Schnitzer entdecken kann. Und so geschah es, dass 2 Züge später die Holzdame des Gegners vom Brett verschwand. Allerdings gegen Turm und Qualität und einige Bauern.
Kaum gerettet wähnte ich mich schon auf der Siegesstraße ohne genauer die Verwirklichung des materiellen Vorteils zu überprüfen. Die Engines at home sahen immer noch Schwarz mit kleinem Vorteil.
Meine Sportsfreunde waren ob meiner „Finte“ recht angetan. Sie ahnten nicht, dass mein großer „Fehler“ erst durch CAISSAS Eingreifen zum Erfolg führte. Ich lasse sie in dem Glauben und hoffe, dass sie diesen Beitrag nicht zu lesen bekommen!
Erst der Fehlzug des Jungtalents im 29.Zug (Tc7 ?) ermöglichte die Transformation in eine Gewinnstellung.
Es bleibt Verunsicherung und Galgenhumor. Manchmal traut man sich nicht mehr über den Weg, den man selber eingeschlagen hat…
Friedliche Feldherren mit wohltuendem Blick auf die Natur. Ein Fensterplatz war mir beschieden und zudem ein fairer sympathischer Gegenspieler. Urlaub vom Irrsinn! So erlebt in Geldern bei der Offenen Stadtmeisterschaft zusammen mit über 60 Schachabhängigen, die offensichtlich diese Droge nicht lassen können…
Nach 3 Jahren Pause (Pandemie + Lustlosigkeit) betrete ich in den nächsten Wochen wieder die Turnierarena. Meine damals letzte Partie verlor ich einem langwierigen Schwerfigurenendspiel trotz kompletter Remisstellung. Es fehlten letztlich Kondition ,Konzentration und vor allem Kraft, die das unrühmliche Ende besiegelten.
So etwas darf nicht noch einmal passieren. Deshalb meine neue Trainingsmethode : Hantelmeditation speziell für die Schwerfigurenendspiele.
„Am Wochenende vom 10. auf den 11. Juni gastierte Georgios Souleidis mit einer zweitägigen Schach-Show in Uedem. Besser bekannt ist Georgios Souleidis unter seinem Markennamen „The Big Greek“. In der Corona-Pandemie startete er durch. Mit inzwischen 137 000 Abonnenten auf seinem Schachkanal bei „You Tube“ wurde er zum Schach-Streamer Nr. 1 in Deutschland. Mit 1,8 Millionen Views für „Die Goldenen Eröffnungsregeln“ produzierte „The Big Greek“ das bisher erfolgreichste Schachlehrvideo auf YouTube. “ ( Heinz Aldenhoven)“
Der 50-jährige Internationale Schachmeister hat in Uedem auf seine bekannt unterhaltsame Art viele Geheimnisse rund um das königliche Spiel gelüftet.
Dass er auch analog ein versierter Schachentertainer ist , das kann ich bestätigen. Da er auch ein gehörige Portion Humor im Köcher trägt, erlaube ich mir ein „ungehöriges“ Foto . Es zeigt, dass ein Beamer nicht nur das Demobrett erleuchtet, sondern auch das Schachgehirn des Meisters bloßlegt…
Neulich hörte ich die Wohlklangstimme von Max Raabe im Radio. Er sang ein altes Lied „Ich bin nur gut, wenn keiner guckt“ unterstützt vom Palast Orchester Babelsberg:
Nach den ersten Zeilen
„Ich bin nur gut, wenn keiner guckt Wenn einer zuschaut Mach ich’s gleich verkehrt Und es ist nicht der Rede wert Ich bin so gut, wenn keiner guckt Schaut niemand zu, bin ich grandios Ein wahrer Meister vor dem Herrn …“
mußte ich unwillkürlich an meine Turnierpartien, speziell Mannschaftskämpfe denken. Als leidenschaftlicher „Kombinator“ , der risikofreudig gern am Brett zündelte, gabs naturgemäß häufig Besuch von den Kiebitzen, die mein „Feuerwerk“ begutachteten. Manche Blicke über den Flächenbrand hinaus in die neugierigen Augen zeugten nicht von Bewunderung, eher von Skepsis bis hin zu Kopfschütteln. Ein paar Züge noch, dann reichte ich dem Gegner meine erschlaffte Zughand und gratulierte .
Immer wieder verfiel ich diesem Galeriespiel.
Meine Mannschaftskameraden taten später gut daran, mich nur noch aus der Ferne (ich war eh am 8.Brett tätig) zu beobachten. Erfolge, wenn überhaupt , ergaben sich , wenn keiner guckte…
Ein Klebeaktivist der früheren Generation hat vor etwa 100 Jahren mit seiner Aktion ein mögliches Kunstwerk verhindert.
Opfer wurde der Bremer Schachmeister Carl Carls, ein gewissenhafter Positionsspieler , der seine Gegner gerne in langen Partien zermürbte und das Endspiel anstrebte, um dann den Gegner in den Abgrund zu stürzen. Sein Lieblingseröffnungszug als Weißer war 1.c2 – c4. Damals Bremer Partie genannt, heute Englische Eröffnung.
Als Carls bei einer Turnierpartie Weiß hatte, klebte ein Witzbold vor der Partie heimlich den Bauer c2 auf dem Brett fest. Carls kam ans Brett, zog kraftvoll mit dem c-Bauern − und zur Freude aller Umstehenden flogen alle Figuren herum.
Der Aktivist steht im Verdacht, dass er ein mögliches Kunstwerk schon in der Entstehung vernichten wollte. Dass der Meister zu Kunst – Stücken fähig war, das zeigte er 1914 in seiner legendären Partie gegen Schuster:
Muß das schön sein, wenn man diese Eröffnungsposse im Gedächtnis gespeichert hat und Jahrzehnte später herauskramen kann, um einen nominell stärkeren Gegner auf die Matte zu legen. So geschehen 2009 in der Partie SHINKEVICH, V (2317) – Grigoriev,V (2144) 0:1.
Es ist schon verdamp lang her, dass ich ein Open in Hamm spielte . Ich vermute in den frühen 80er Jahren. Es begab sich zu jener Zeit, dass ich drei Mal hintereinander gegen Damen antreten mußte und alle 3 Partien verlor..Nach der 2.Niederlage wurde ich ungeduldig und frech. Ich hatte Schwarz und eröffnete mit dem Geier von Bücker, den ich normalerweise nur in Blitzpartien steigen ließ. Nach 1.d4-Sf6 2.c4-c5 3.d5-Se4 schaute mich die Opponentin streng an :“ Du meinst wohl, gegen Frauen kann man Alles spielen!? Ich schwieg und errötete ( nicht nur leicht) und humpelte schwerfällig durchs Variantengebüsch. Nach knappen 2 Stunden gab ich (erleichtert) auf.
Gestern fiel mir beim Aufräumen meines „Schacharchivs“ ein Zeitungsschnipsel in die Hände, leicht vergilbt und ein wenig geknüllt, wohl auch aus jener Zeit.Ja, schon damals gabs keinen Grund , die Damen zu unterschätzen. Wenn man genau hinschaute, sah man , wie falsch manche „Diagnosen“ waren.
Als passionierter Schachspieler, der liebend gern am Brett seine Herausforderungen sucht, ist Corona natürlich eine Hürde, eine lästige Einschränkung. Eine ganze Saison wurde ausgesetzt (Verbandsliga Niederrhein),und dann – endlich – wieder fortgesetzt. Der letzte Mannschaftskampf brachte eine Wende :Mit Impfnachweis und Maske konnten wir unsere Passion wieder aufnehmen. Lediglich beim Pausieren (Toilette,Herumspazieren an der frischen Luft ) durfte die Maske abgenommen werden. Die Freude über die wiedergewonnene Passion war größer als die stundenlange Maskerade am Brett. Es funktionierte gut. Ich kämpfte 6 Stunden lang (vergebens), war trotzdem zufrieden .
Zur nächsten Runde erhielten wir noch rechtzeitig die Mitteilung, dass „die Maskenpflicht am Brett entfällt“ .
Nach Rücksprache mit dem LSB ist mit der Landesregierung geklärt, dass beim Sport das Tragen einer Maske nicht praktikabel ist. Da dies für alle Sportarten gilt – die im LSB organisiert sind – entfällt die Maskenpflicht am Brett! Aktualisiertes Hygienekonzept für die Ebene des Schachbundes NRW (Stand: 04.01.2022)
Ja, Schach ist Sport . Darüber mag sich jeder Turnierschachspieler freuen. Doch die Finesse, dies (unreflektiert) „auszunutzen“, um den Spielbetrieb wieder ungehindert ans Laufen zu bringen , finde ich unverantwortlich.
Da sitzen sich 16 Unmaskierte stundenlang gegenüber und lassen die Aerosole tanzen. Wir atmen die Luft ein, die der Gegner ausatmet – und umgekehrt, und das an allen Brettern!
Ich befürchte, dass die unselige Spaltung der Gesellschaft nun auch in kleinteiliger Form die Impfbefürworter befällt. Wer läßt schon gern die Mannschaftskollegen im Stich ?
Oh what a feeling ! Nach langer Pause wieder eine Turnierpartie ohne Internetverbindung: Mannschaftskampf gegen den Düsseldorfer SV. Die letzte Begegnung mit diesem Klub gab es in der Anfangsphase der Coronakrise (Februar 2020). Damals machten wir noch Witzchen über Begrüßungsrituale (mit den Füßen – wie bei den Japanern) und – haha – die Empfehlung, unriskante Opferpartien zu zelebrieren ( Der Gegner würde nicht wagen, die geopferte Figur anzufassen). Der Spaß ist längst geglättet.
Maskiert mit Passierschein (Impfnachweis) betrete ich den Turniersaal, gleichzeitig die Heimstätte für den örtlichen Schützenverein. Es tut gut, die Mannschaftskollegen wieder zu sehen. Ich habe den Eindruck, wir sehen , wie wir zwischenzeitlich gemeinsam gealtert sind…Es kann losgehen. Fäuste touchieren einander und wünschen „ eine schöne Partie“. Nach den ersten Eröffnungszügen mal kurz an die frische Luft , um die Maskenfreiheit zu genießen. Auf einmal kommt ein Trupp von Schützenbrüdern auf unser Spiellokal zu. Eine ganze Garnison nimmt Aufstellung und bittet höflich um Einlaß. Eine Abordnung betritt den Spielsaal, um eine Standarte aus der Requisitenkammer zu holen. Irritation und Amusement bei den Spielern. Ach, wie hat uns diese Art der bodenständigen Kultur gefehlt !
Unsere Gegner bleiben taktvoll , haben Verständnis.Der Kampf endet wohlgefällig mit einem Sieg für uns, was uns die geteilte Tabellenführung einbringt.Mein freundlicher Opponent erinnert mich nach der Partie daran, dass wir „damals“ gemeinsam im Unischachklub Düsseldorf aktiv waren. Freude! Sofort fallen einem Anekdötchen in den Schoß: Simultanevents mit Peter Ostermeyer und Hajo Hecht . Es war zur Zeit der RAF, als ich Obmann des Unischachklubs war. Da wir keinen Schrank für die Schachmaterialien in der Uni hatten und ich nicht immer das ganze Zeug in meine Wohnung (4.Stock) schleppen wollte, blieb nur der Kofferraum meines VW -Käfers als Aufbewahrungsort. Meine Ausflüge Richtung Niederlande (billiger Tabak, Flohmarkt etc) wurden in der Zeit einmal jäh gestoppt, als die Grenzer mich baten, den Wagen zu verlassen und einen Halbkreis um das Gefährt bildeten. Dann forderte man mich auf , den Kofferraum zu öffnen. Es war eine stille Spannung in der Luft, und ich hörte auf einmal sehr deutlich das Uhrwerk meiner zahlreichen Schachuhren ticken. Dies konnte ich dann – mit einiger Mühe – aufklären. Seitdem bin ich auf freiem Fuß!
Schach im Netz erfreut sich großer Beliebtheit, auch eine positive Auswirkung der Pandemie. Die Schachfreaks, die sich in ihrer Randsportecke schon seit vielen Jahren eingerichtet hatten, erleben eine Euphorie , die sich allerdings hauptsächlich in den Medien abspielt. Der gemeine Schächer hat sein Spiellokal schon lange nicht mehr von Innen gesehen , abgesehen von einigen ambititionierten Versuchen der Vereinsorganisatoren, entsprechende Schutzvorkehrungen zu installieren.Natürlich ist Onlineschach eine attraktive Alternative, die keiner missen möchte. Doch wie jeder weiß, ist die Gefahr des Cheatens allgegenwärtig , Fluch und Segen der übermächtigen Maschinen.
Wenn ein Gegner mit schwacher DWZ mit gutem Spiel gegen mich gewonnen hat…Wenn ich überraschend gewinne und dazu noch mit einer herzerfrischenden Kombination, die auch ein Amateur schon mal hinkriegt, ja dann…Vertrauensvorschuß ist ausverkauft!Also bleibt – für mich – nur das vermaledeite Bullet-Schach mit 1 Min Laufzeit , um sicher zu gehen, dass wohl jeder Cheater letztlich durch Zeit verlieren würde. Natürlich sind die Partien kaum mit normalen Turnierpartien vergleichbar – und das ist gut so.
In zigtausend Partien habe ich sowohl skurrile Eröffnungen, wie auch ebenso skurrile Kommentare von Kombattanten erlebt. Die erste Lektion , die man erlernen sollte, ist wohl Grundvoraussetzung, um dieser „Sportart“ treu zu bleiben. Sie lautet: Sei nicht beleidigt, wenn du beleidigt wirst:“(Bravo Engine!“ – „Antischach!“ „Lagger“ – „Run away chicken“„Looser“ (noch keiner hat es orthografisch präzisieren können).
Das ist der Preis, wenn du mit „Glück“ gewonnen hast. Ich schweige dezent
Wer permanent ein Rematch verlangt, bis er endlich mal eine Partie gewonnen hat, der verdient, ebenfalls ignoriert zu werden.
Viel schöner sind Kommentare, die zu Herzen gehen.“Bitte kein rematch verlangen, ich möchte erst meine Partie analysieren!“ oder:“Danke vielen Senior für Schach mat mit respekt“.Leider gibt es viele Spieler, die ihren Namen und auch ihre Herkunft nicht veröffentlichen. So rätsel ich manchmal, wer so nette Sätze schreibt.
Nach des Tages Last und Müh ist Bullet auch eine Mülldeponie, wo man seinen (Seelen)-Müll abladen kann. Ein paar „glückliche“ Siege gegen vermeintlich Stärkere , eine geglückte Flucht mit dem nackten König im Zickzack durch die Felder, allen Schüssen (Bullets) ausweichend, ins Remis gerettet durch Zeitüberschreitung des Jägers oder durch Patt, das baut auf, das ärgert den Gegner, das tut gut.
Hier ein Beispiel, in dem der „Jäger“ seinem Ärger nicht Luft macht, sondern – wie ein Gentleman- schweigt .
Weiß am Zug
Wer sich für die Droge Bullet Schach interessiert und Urlaub vom „normalen“ Schach nehmen möchte, dem empfehle ich das unterhaltsame Buch von Hikaru Nakamura and Bruce Harper „Bullet Chess“ One Minute to Mate
Wer meine DWZ runterprügeln möchte , kann mich gerne herausfordern.Bei schach.de Künstlername : habäidä . Für jüngere Eleven: Der Name ist eine Verbeugung vor Vlastimil Hort, der in den Sendungen mit Helmut Pfleger gern kommentierte ( Habe Idee!)