Ich habe den Kiebitz des Jahres wahrscheinlich vor einigen Tagen kennen gelernt. Zwar nur kurzzeitig, jedoch umso intensiver und angenehmer im Umgang. Und das kam so:
Verbandsklasse: 1.Rd PSV Duisburg II – Uedem II.
Navi frühmorgens scharf gestellt: Adresse der Lokalität: Haus der sozialistischen Jugend Deutschlands , Die Falken
Also der Polizeisportverein Duisburg Abt Schach und die Falken teilen sich das Revier. Donnerwetter, das hört sich gut an.
Schon ratterten Erinnerungsfetzen durch mein Langzeitgedächtnis: In den 70 er Jahren , als ich ebenfalls sozialistischen Ideen nachhing , lebte ich in einer niederrheinischen Kommune, um dem kleinbürgerlichen Leben zu entkommen. Es war ein stillgelegter Bauernhof , den wir mit 7 Kommunarden bewohnten. Der „Chefideologe“ hatte zu unserer Überraschung etwa 30 bis 40 Falkenkinder und Jugendliche eingeladen, um unser alternativ (sozialistisches) Experiment bekannt zu machen. Treppauf, treppab in hoher Geschwindigkeit schossen die Falken durch die Räume . Natürlich waren es benachteiligte (Arbeiter) Kinder, die besonderer Aufmerksamkeit bedurften. Puh …
Zurück zum Schach. Ich war als Kommunarde ein etwas problematisches Mitglied, da ich – zum Erschrecken einiger Kumpels -, sehr viel Schachtheorie beackerte und den politischen Aufklärungsaposteln nicht immer folgen konnte. „Schach ist ein kapitalistisches Spiel!“ So blaffte mich der „Chef“ immer wieder an.
Zurück nach Duisburg: Altersgemäß und deshalb auch konditionsschwach spiele ich an einem hinteren Brett. Mein Gegner, ein freundlicher junger Mann ,wahrscheinlich Student, saß mir gegenüber.
Er spielte mit Schwarz eine Mischung aus Pirc und Flußpferd , was ihm jedoch nicht so recht gelingen wollte. Er verhaspelte sich und landete mit Qualitätsverlust (nicht falsch verstehen!) in eine schwierige Position, die nur mit großer Anstrengung zusammengehalten werden konnte. Ich bemühte mich – die Versuchung war leider gegeben – mit kombinatorischen „Glanzstückchen“ die Partie zu veredeln. Einfache Tauschaktionen und schnöde Abwicklungen, die tatsächlich möglich waren, ließ ich liegen. Die Sehnsucht nach der blauen Blume kann manchmal auch zu einem blauen Auge führen.
Zurück zum Kiebitz:
Obwohl ich in der Endphase geschwächelt hatte, sah mein Gegner doch irgendwann ein, dass sein Widerstand zwecklos wurde. Er gab dann nach meinem 34. Zug auf :Dc2
Meine Erleichterung war spürbar. Und ich war trotz einiger verpasster Abwicklungen mit mir zufrieden. Mannschaftskameraden eilten hurtig herbei und gratulierten. Das hat man gern, das stärkt den Teamgeist. Das beflügelt die Rückfahrt, für die ich immer eine passende Siegermusik (CD) (Element of Crime) bereit halte. Und das mit offenem Seitenfenster und wehenden Haaren .
Nun kommt die Hauptperson: Der Herr Kiebitz: Freundlicher mittlerer Jahrgang, kommt zu unserem Brett, schaut vorsichtig, ob die Partie tatsächlich schon beendet ist. Mein Gegner notiert seine Niederlage und seufzt ein wenig. „Wieso?“ – fragt der Kiebitz,“ wieso hast Du aufgegeben?“ – Ich erklär ihm kurz mit Hinweis auf die 3 verbundenen Freibauern und der Mehrqualität, dass weiteres Spielen sinnlos ist.
Er stutzt und sagt mit bedächtiger , zurückhaltender Art einen Satz, den ich immer noch im Ohr habe:“ Sie stehen doch auf Verlust!“ „ Nein, nein“, sage ich im freundlichen Ton , mit den 3 Freibauern und der Qualität “ – und zeige ihm die entsprechende Figurenkonstellation, „ das spielt sich von allein.“ Er bleibt höflich, er ist kein Kiebitz, der laut wird, Recht behalten will (um jeden Preis), sondern zeigt sachte die nächsten 2 Züge , die tatsächlich eindeutig meine Verluststellung aufzeigen: … 34… De4 ! 35. Le3 Txe3 !
Schüchterne Entgegnung meinerseits:“ Aber die 3 Freibauern, die gewinnen doch, oder machen wenigstens Remis“ , klingen leicht schwachbrüstig. Der Rechner hat es deutlich bewiesen.
Ich bedanke mich bei dem fairen Kiebitz, der so wunderschön aus der Art gefallen ist: Sehr fair, sehr angenehm.
Er ist für mich der Kiebitz des Jahres 2024!