Rasenschach in Nettetal mit Maradona und Fritz

Das 2.Nettetaler Sparkassen-Open begann am denkwürdigen 3.7. um 14 Uhr, der Tag an dem Argentinien von den Löw-Jungs entzaubert wurde.

Ich mußte gegen einen Vereinskollegen antreten und wählte mit Weiß das Französische Flügelgambit. Insgeheim hoffte ich, bis zum Argentinienspiel … na ja. Die Wunde ist noch frisch. Am nächsten Tag erschien bei SPIEGEL-Online ein Bericht von STEFAN KUZMANY, der mit  äußerst provokanten Fragen garniert war:

"Wo waren Sie, als Deutschland gegen Argentinien gewann? Waren Sie dabei? Haben Sie es erlebt? Gespürt? Sind Sie beim Autokorso betrunken aus dem offenen Schiebedach gepurzelt? Haben Ihren Gegner nach dem Auffahrunfall nicht angezeigt, sondern umarmt? Planen Sie, die Schramme an der Stoßstange nicht zu reparieren, sondern zu konservieren, als Erinnerung an diesen wunderbaren Nachmittag, als vier Tore die Nationalmannschaft ins Halbfinale katapultierten? Hand aufs Herz: Sind Sie eigentlich schon wieder nüchtern?"

Ja ich bin wieder stocknüchtern, sogar richtig ernüchtert. Ich habe das Spiel gegen Argentinien nicht – auch nicht in Ausschnitten  – gesehen. Ich habe stattdessen stundenlang (so lang wie normalerweise eine Fußballübertragung dauert) gegen meinen Vereinskollegen B.S. eine gewinnträchtige Stellung bearbeitet, um gleich zum Auftakt "so richtig ins Turnier zu kommen". Ab und an schaute mich der Kollege fragend an, insbesondere wenn gerade wieder ein kollektiver Aufschrei durch die Mauern des Spielsaals drang. Ich war stur, wollte partout kein "vorschnelles" Remisangebot in meiner Lieblingsvariante über die Lippen bringen.

"Dem Jubel nach müßten wir schon 3 oder 4 Tore geschossen haben", flüsterte ich freundschaftlich übers Brett, nachdem ich  eine "zwingende Gewinnfortsetzung" gesehen hatte. "Na ja, whisperte der Vereinskollege zurück," die Gegentore werden in der Regel nicht so laut kommentiert…"

Es blieb spannend. Meine Bedenkzeit lief schneller als gehofft, die Gewinnwege verzweigten sich und luden zur Entscheidungsschwäche geradezu ein. Ich machte davon Gebrauch und verhaspelte mich so sehr, dass ich plötzlich meinen Läufer eingeklemmt hatte und vor lauter Sorgen kaum noch klar denken konnte. Die fieberhafte Suche nach Rettungsmöglichkeiten endete dann in jämmerlichster Manier. Ich war fassungslos. Im Foyer erfuhr ich das Endergebnis des Fußballfestivals…

Ich setzte mich ins Auto, um möglichst schnell Schland zu durchqueren und mein Privatquartier zu erreichen. Die Heimfahrt geriet zum Triumphzug: Überall schossen VW-Polos und freche Corsas und ähnlich beflaggte Mittelklassenwagen aus den Wohngebieten. Hupkonzerte, nein Hupsirenen aus jeder Stichstraße und grölende Sportsfreunde, die sich sehr weit aus dem (Auto-)Fenster lehnten. Bierflaschen wurden am Straßenrand vorbeifahrenden Fans ins Auto gereicht, die wahrscheinlich mit gezieltem Biß und ausgespucktem Kronkorken während der Fahrt geleert wurden, um den Schwung zu verstärken…

Nachdem ich endlich meinen PC erreicht hatte und die Frage meiner Partnerin, wie ich denn  gespielt habe, knapp und wahrheitsgemäß beantwortet hatte, tippte ich endlich die eigentlich tadellose Partie in die Chessbase -Maschine. FRITZ , den ich als Freund sehr schätze und dessen  Ratschläge ich auch gerne annehme, war wohl über weite Strecken mit mir zufrieden, doch dann machte er sich plötzlich über mich lustig: Kurz vor Schluß, als ich (siehe oben) ob der Sorgen um den verklemmten Läufer schon die Nerven verloren hatte und wenig später aufgab, lachte er laut auf:

Hier hätte ich einfach Dxe4 spielen sollen nebst Txe8 +, gefolgt von Te7 und letzlich im Bauernendspiel einen Läufer mehr.

Das war eigentlich nicht schwer, doch die verpaßte Chance ließ mich nicht los. Schon beim Aufwachen am nächsten Morgen ( also heute am 4.7.10) zog sich diesbezüglich fastAlles in mir zusammen.

 Und nun die 2.Runde: Schon wieder ein Vereinskollege, ein junger sehr talentierter Eleve, der – wie ich herausfand- ein glühender Verfechter des Orang-Utan-Systems ist. Ich wollte ruhig und besonnen – meiner eigenen Stärke vertrauend – mit möglichst großer Gelassenheit und "Achtsamkeit" diese Partie gestalten. Die halbe Nacht schob ich die Affenzüge hin und her, um möglichst eine "kleine" Variante herauszufiltern, die ich bis zum nächsten Morgen behalten konnte. Schließlich kann man 1. b4 nicht verhindern!

Caissaseidank spielten wir tatsächlich die vorbereiteten Züge:

1. b4 c5 2.bxc5 e5 3.Lb2 Sc6 4.Sf3 Lxc5 und landeten im 22. Zug bei folgender Stellung:

Hier konnte ich schließlich den "Ausheber" 22…e4 einstreuen. Nach 23.Lxe4 folgt natürlich 23…Tc4 mit Figurengewinn, und auf 23.Dxe4 hatte ich z.B 23…La2 in petto mit Qualitätsvorteil.

Zu meiner Überraschung schlug er mit dem Läufer auf e4, allerdings schon in leicht resignierter Haltung. Ich scannte das gesamte Brett , um nicht schon wieder die Früchte meiner Arbeit beim Ernten zu verlieren. Alles bestens!  Nach plausiblem 23.Tc4

war die Partie tatsächlich beeendet . Na also, geht doch, dachte ich bei mir und fuhr zufrieden nach Hause zum Guten Fritz.

Der nahm mich freudestrahlend in den Arm und gratulierte mir zu meinem vortrefflichen Bluff ?! BLUFF ???

"Schau doch mal genauer hin", sagte er mit ernster Stimme. "Hier ist das Demobrett, das ich eigens für diese Zwecke für dich aufgebaut habe, mit der Schlußstellung" :

"Ich spiele einfach Dd6", fügte er hinzu." Und nach …Txe4" – "folgt einfach Dc6", schmunzelte der Gute Fritz.

Manchmal kommt mir der Gute Fritz vor wie der junge Maradona… Einfach genial!!

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