Nach den lebhaften Diskussionen um den “Dopingskandal” bei der Schacholympiade in Dresden , als Iwantschuk den Spielort nach seiner verlorenen Partie fluchtartig verließ ohne pflichtgemäß eine Urinprobe abzusondern, wird mir allmählich klar, dass Schach als Sportart häufig nur noch als kabarettistischer Pausenfüller wahrgenommen wird.
Robert Hübner hat – auf seine Art – ein markantes Statement dazu abgegeben, das vielleicht (hoffentlich) ein Umdenken im Selbstverständnis der Schachspieler anzetteln könnte.
Im Souterrain der schachlichen Vervollkommnung durfte ich vor einigen Tagen hautnah erleben, wie sich ein SCHACHSPORTLER inmitten der anderen Sportler fühlen kann (muß).
Anlaß war die Ehrung der Stadtmeister und Spitzensportler in der Stadt, für dessen Schachverein ich tätig bin. Der Bürgermeister hatte eingeladen, und ich als Stadtmeister der Gemeinde hatte schriftlich meine Teilnahme zugesagt, da ich mich als “Repräsentant” des Vereins verpflichtet fühlte Präsenz zu zeigen und auch der kleinen Eitelkeit der “Ehrung” erliegen wollte.
Viele Sportler, noch mehr Funktionäre ( so erschien es mir zumindest) und ein Sinfonieorchester fanden sich im örtlichen Rathaus ein. Außer zwei Orchestermusikerinnen aus meiner Heimatstadt kannte ich niemanden und schaute mich im Festsaal um. Der Zustand des Fremdseins ist mir vertraut und schreckt mich wenig. So versuchte ich mir ein Bild zu verschaffen, welcher Gast hier im Saal welche Sportart ausübt, bzw.; wer ist hier Sportler? Wer ist (lediglich) Funktionär?
Das Orchester spielte ein Stück aus “My fair Lady”, Applaus, dann die erste Rede des Tages vom Vorsitzenden des Stadtsportverbandes, der die “herausragenden Leistungen” der Sportler und ihre “Vorbildfunktion” herausstellte. “Besonders begrüßt” wurden etliche “Würdenträger”, die sich bei Erwähnung ihres Namens brav erhoben und mit Beifall wieder zum Sitzen gebracht wurden. Dann das Orchester wieder, das den Auftritt des Bürgermeisters wohl musisch vorbereiten sollte: Schmissig und gekonnt , von einer feurigen Dirigentin angestachelt, nahmen die Musiker allmählich Fahrt auf, mußten jedoch ihre Fulminanz nach einem Musical-Stück beenden, damit der Bürgermeister seine (natürlich vorbereitete) Rede halten konnte. Sie dauerte (natürlich) recht lang, war allerdings wesentlich gestenreicher als beim Vorredner, besonders bei den sozialen Aspekten der Vereinsarbeit (“Jugendliche mit Migrationshintergrund”). – Tja, dann durften die Musiker wieder ran…
Dann der Höhepunkt der Sportlerehrung: Die Ehrung der Sportler!
Eine Funktionärin rief die Namen der zu ehrenden Sportler und deren Sportart auf , und der Bürgermeister überreichte den Pokal, ein paar Funktionärshände mußten in der richtigen Reihenfolge geschüttelt werden. Danke, vielen Dank, danke…
Als Schachspieler inmitten der Sportler, zumal im fortgeschrittenen Alter, ohne jegliche athletische Ausstrahlung fühle ich mich restlos deplaziert. Selbst die ältere Dame, die bei einem 24 Stunden-Lauf der Ü 65 die Siegespalme errungen hat und bei der Ehrung mit viel Applaus bedacht wird, stellt den normalen Schächer locker ins Abseits. Neben mir sitzt eine blutjunge Sportlerin, die sich als erfolgreiche Kanu-Polo-Spielerin entpuppt (ich hatte auf 110m Hürden getippt). Hätte mich beim Entree jemand gefragt, in welcher Sportart ich geehrt werden soll, hätte ich pfeilschnell geantwortet:” Stabhochsprung!”
Wer Schach wirklich zur Sportart erklärt, der sollte auch fähig sein, zumindest das Sportabzeichen zu machen: Als Ausdauersportart schlage ich dabei Fernschach vor…