Kontemplatives Schach

Ich bin mir sicher, dass ich meine “Schachkarriere” längst beendet hätte, wenn ich nicht die Möglichkeit gefunden hätte, im Geblogge einen Rettungsanker zu werfen.

Die Bloggerei ist eine bequeme Möglichkeit, Wunden zu lecken, Mißerfolge zu entschuldigen, Gegner nachträglich „matt zu setzen“, aus verstaubten Aktenordnern Urkunden  und Presseberichte hervorzuzaubern, um das geschwächte Schach-Ich wieder aufzurichten. Wenn die Reservetruhe leer geräumt ist und keine neuen Glanzpartien erschaffen wurden, dann bleibt immerhin noch die ausgiebige Auswertung von Verlustpartien, die opulente Ausschlachtung der eigenen Patzerhaftigkeit, das  lustvolle Suhlen im Versagensbottich.  Auf Dauer ist dies jedoch eine sehr beengende Bloggerperspektive.  Auch lange Durststrecken und ständige Mißerfolge verlieren – nicht nur für mich – ihren „Charme“.

So verringerte ich allmählich meine Turniertätigkeit, quälte mich in Gewinnstellungen mit Gedanken herum, wie ich die Partie doch noch verlieren könnte… und wartete eigentlich auf den „Fangschuß“, um die geliebt-gehaßte Droge Schach endgültig in den Müll zu schmeißen.

Da kam mir die retttende Idee(Sonntag.Frühstück.9 Uhr20). Ich sagte mir:“ Ab heute spielst du nur noch KONTEMPLATIVES SCHACH.  Ich verbeiße mich nicht mehr in meinen Gegner wie ein Hund, der von der Kette gelassen wird. Ich strebe keine Verwicklungen mehr an, die ich nicht überschauen kann. Ich schaue mir in Ruhe die jeweilige Stellung an und behandele sie wie eine Frage im Kreuzworträtsel. Zug für Zug, Frage nach Frage. Ob ich das ganze Rätsel lösen kann, ist (jetzt) nicht wichtig.

Da ich seit etwa 40 (!) Jahren keinem Händel aus dem Weg gegangen  bin und immer die Jacke voller Streichhölzer hatte, um das Brett in Brand zu setzen, kam mir dieses sonntägliche  Manifest fast revolutionär vor.

Mit dieser neuen Einstellung habe ich dann beim diesjährigen GOCHER OPEN  einen Probelauf gestartet, der mich zwar ELO-mäßig zurückgeworfen hat, jedoch  meine Treue zu CAISSA gefestigt hat.

Das GOCHER OPEN ist seit Jahren mein einziges OPEN, das ich gerne spiele. Im Jahre 2006 war ich dort wieder recht erfolglos, so dass ich aus der Ferne von der „Bühne“, wo sich die Cracks bekämpften, mit meiner Kamera „heimliche Aufnahmen“ machen konnte.

So verbissen wie der IM in dem Filmchen möchte ich nicht mehr kämpfen. 


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2 Antworten zu Kontemplatives Schach

  1. Leidensgenosse i.R. sagt:

    Lieber Freund, jetzt endlich kehrst du auf den Pfad der Tugend, den ich schon sehr lange beschreite, auch zurück. Bravo! Ein fürchterliches Video, meine Augen schmerzen, so waren wir auch mal, glaube ich, grauenvoll! Mich schauderts!

  2. Stefan sagt:

    Nach heutigen Maßstäben war der IM auch nicht vollkommen regelfest. Erst aufgeschrieben, dann gezogen.

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