Die Weltrangliste und ich

Nach fast 40 Jahren Schachpraxis ziehe ich schonungslos Bilanz:

In der WELTRANGLISTE der FIDE rangiere ich auf Platz 24408, in der NATIONALEN Rangliste auf Platz 3166.

"Da ist noch Luft nach oben" würde meine gutmütige Gattin schmunzelnd hinzufügen, wenn ich ihr dies gestünde.Stattdessen lasse ich sie in dem Glauben, dass ich eine (lokale)Schachgröße bin, für die es sich lohnt, sonntags zum Mannschaftskampf frühmorgens Stullen zu schmieren, die Thermoskanne mit Kaffee zu füllen und im Cockpit des PKW eine kleine "Ritter Sport Nuss" als Überraschung zu hinterlegen.

Alldieweil laufe ich herum, suche "meinen Kugelschreiber", "meinen Rucksack", "mein Lieblingshemd" und verspüre alsbald das altvertraute Gegrummel und Gezerre im Magen, das schon so lange meine Vorbereitungen begleitet. Fast hätte ich’s vergessen: Die richtige(!)Musik für die Fahrt… Meine Gattin wirkt erleichtert, wenn ich endlich "Alles beisammen" habe und um die Ecke biege…

Nachdem ich meine Lieblings-CD von Benny Golson eingelegt habe und auch die Sonntagsmorgensonne freundlich durchs Fenster schimmert, fühle ich mich allmählich wohltuend gestärkt, auf dem Beifahrersitz der rot-weiß-karierte Rucksack (Kaffee,Brote,Dextro-Energen,Toilettenpapier,Mineralwasser), vor mir die Aussicht auf die Niederrheinische Landschaft und auf einen Gegner, der mit seiner bescheidenen DWZ von 1830 wohl einen schweren Tag haben wird.

Der Kampf beginnt pünktlich um 10 Uhr. Ich nehme am 4.Brett Platz., begrüße freundlich meinen Gegner mit dem Satz, den ich mir nicht abgewöhnen kann:" Möge der Schlechtere gewinnen!" und lächele . Dieser verzieht keine Miene, sondern eröffnet mit 1.f4. Irgendwie paßt dieser Eröffnungszug nicht zu meinem Gegenüber, der mir sehr rustikal und rundlich-rotwangig , eher bäuerlich erscheint." Ein schneidiger Angriffsspieler sieht anders aus…" Nun gut. Ich antwortete mit 1…e5 und hoffe schon auf 2.fxe5 d6 3.exd6 Sf6?! 4.dxc7 Dxc7 mit baldiger Rückfahrt. Ohne zu zögern folgt allerdings 2.d3, was mich leicht irritiert. Also 2…exf4 3.Lxf4 Df6 4.Dc1

Wir flogen also beide netterweise "aus dem Buch", schon habe ich nach nur 4 Zügen als Schwarzer Oberwasser.Locker folgt 4….Lc5 5.e3 Se7 6.Sf3 Sd5 7.d4 Sxf4 8.exf4 Lxd4 9.c3 De6+ 10.Le2 . Nachdem mein Gegner die Eröffnung so erbärmlich behandet hatte, will ich alle taktischen Mätzchen, die am Horizont auftauchen könnten, im Keim ersticken. Ein technisch-leicht gewonnenes Endspiel strebe ich mit dem folgenden Zug an:

10….De3. 11.Dxe3 Lxe3 Die Pointe ist nun klar: Weiß verliert noch einen weiteren Bauern (f4 oder b2) und sollte eigentlich aufgeben. Nein, er spielt einfach weiter: 12.g3

also: 12. …Lc1 13.a3 Lxb2 14.Ta2 Lc1

Irgendwie erfüllt mich ein gewisser Stolz, dass ich endlich mal ohne Verwicklungen und "Romantizismen" ganz technisch, ganz schnöde (wie meine Kritiker) , in Vorteil gekommen bin, und ich merke allmählich, wie erholsam und streßfrei solche "einfachen" Siege sein können.

Mein rustikaler Gegner beugt sich weit vor, ich wische mir die Hand an meiner Cordose schnell trocken, da ich annehme, dass er aufgeben will, und zieht … 15. Kf2

Er lehnt sich zurück, verschränkt die Arme, bis seine Wangen glühen, springt dann auf, um seinen Getreuen eine wichtige Botschaft zu übermitteln. Sie formieren sich zu einem Rudel ,nehmen Kurs auf unser Brett und – nicken erheitert

 

Der 24408te der Weltrangliste versinkt in Grund und Boden.

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2 Antworten zu Die Weltrangliste und ich

  1. Ein Fall für den Schachtherapeuten!

    Oder zumindest für die Schachpolizei!

    Egal, aber da muss man von rechtswegen einschreiten, …
    … immer zum Wohl Patienten.

    Auf alle Fälle wird der Schachneurotiker ab sofort ins Nachtgebet miteingeschlossen.

    Der Schachtherapeut

  2. Leidensgenosse i.R. sagt:

    Bitt`schön, bitt`schön, verehrter Kollege! Was sind schon Zahlen und Platzierungen, die Optik die Schönheit der Stellung, das ist es doch, was wirklich zählt. Schauèns doch mal die Stellung nach dem 15ten Zug von Weiß: Die schwarzen Figuren verharren in der Grundstellung, quasi unberührt und jungfräulich, herrlich geornet erscheint die schwarze Stellung. Im Gegenzug dazu die weiße Stellung: Ein Chaos, ein Tohubawohu hervorgerufen durch den schwarzen Läufer, der sich tief in die Phalanx der weißen Stellung gebohrt hat, um alle weißen Figuren quasi im Alleingang, wie Don Quixotte im Kampf gegen die Windmühlen, zu erlegen. Gewonnen, verloren, Erster oder Letzter, wen interessiert das schon beim Anblick der Stellung nach dem 15ten Zug. Nur weiter so! Im Übrigen meinen Glückwunsch zur bisherigen Platzierung in der Krefelder Stadtmeisterschaft.

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