Dostojewski,Boticelli und Karel Gott – Als Schachmeister noch Typen waren

Das Internet ist wahrlich ein Segen für das gesamte Schachleben, nicht zuletzt wegen der enormen Informationsfülle, die auch dem Fußvolk der Schächer geboten wird. Es ist eine Demokratisierung der Möglichkeiten, die früher  nur den privilegierten Meisterspielern vorbehalten war.Zudem ist der Unterschied zwischen realem Klötzchengeschiebe und dem Mausgeklicke zwecks Figurenbewegung kaum erwähnenswert. Dennoch erlaube ich mir eine Zwischenfrage:

„Wo fangen Sie an zu suchen, wenn ein Gast Ihre Wohnung betritt und fragt, ob Sie Lust haben, eine Partie Schach zu spielen?! Ich bin mir nicht sicher, wo mein edles Turnierbrett geblieben ist (wahrscheinlich hinter ein Bücherregal geklemmt), doch vollends hilflos würde ich dreinschauen, wenn ich auf Figurensuche gehen müßte….

Und ich erlaube mir  heute einen (verklärten?) Blick zurück in die Zeit, als ich noch abends zum Düsseldorfer Hauptbahnhof stiefelte,um die neuesten Ergebnisse des Bieler Interzonenturniers in einer Schweizer Zeitung nachlesen zu können, als Robert Hübner großartiges Schach spielte.

1977 durfte ich als Vertreter der Uni Düseldorf an der „Deutschen Hochschuleinzelmeisterschaft“ teilnehmen, die in  St.Andreasberg  ausgetragen wurde. Im  benachbarten Bad Lauterberg fand gleichzeitig ein Großmeisterturnier mit dem amtierenden Weltmeister Karpov und  anderen Schachgrößen (Torre,Timmann,Miles ,Hübner!etc )statt. Es war ein prägendes Erlebnis, neben dem eigenen amateurhaften Herumstochern, die Meister in der Nachbarschaft zu besuchen, um stundenlang neben den Brettern zu hocken und mitzufiebern. Kein geringerer als der Satiriker Eckhard Henscheid hat in der DZ  vom 25.3.1977 ein Schlaglicht auf diese besondere Veranstaltung geworfen: Er deutet dabei schon an, welche Veränderungen die Schachwelt zu erwarten hat, vor allem, wie  respektlos und frech die neuen „Wilden“ ihre Aufgaben angehen:

„Bei Zug 20 steht das Brett in Flammen –

Die neuen Meisterfiguren des Schachspiels.

Anatoli Karpov hat das königliche Spiel in Bad Lauterberg als seriöser Musterknabe vertreten.Aber schon kreuzen flotte Antitypen mit Computerhirn am Tisch auf….

Ja die neue Generation der „flotten Antitypen“, die hat Henscheid schnell ausgemacht:

Der Boticelli-Engel

Sosonko vetraut beim Match mit Karpov auf Schokolade, der russische Altgroßmeister und Karpov-Trainer Furman raucht als einziger zügig, bis zum 20.Zug immerhin sechs heimatliche Filterzigaretten.Prächtig schmaucht der Turnierleiter Helmut Nöttger seine Zigarre und zischt gemütlich ein Pils.Sonst dominiert schwarzer Kaffee;der Bilderbuch-Phlegmatiker Keene aus England vertraut schwarzem Tee. “ –

Genau dieses unmittelbare Erlebnis, Individualisten, Charaktere, kurzum echte „Typen“ bei der Denkarbeit zu beobachten, machte den Reiz der Begegnung aus. Mit meiner (nichtdigitalen) Kamera habe ich  damals ein paar Momente  festgehalten, die ich im Folgenden einstreue (Boticelli!!). Henscheid wagt einen Ausblick in die Zukunft:

„Amüsiert zu bewundern war in Bad Lauterberg die neue Großmeistergeneration der Rocker und Beatles. Der Philippino Torre. einer der drei Karpov-Bezwinger seit 1975, verstrahlt Twen-Niedlichkeit im Jeansanzug, der Schwede Andersson spielt in einer Art Rocker-Jacke gegen den wirrhaarigen Blue-Jeans-Engländer Miles. Ein optisch besonders reizvolles Team bilden der Grandseigneur Furman und der Holländer Jan Timman, ein langmähniger Boticelli-Engel in kunstvoll

vergammeltem internationalem Freizeit-Look.

Diese neue Großmeister-Generation, sie will vielleicht doch mehr als nur Schach. Das läßt Unheil befürchten. Ebenso wie die Vision, die jungen Giganten würden noch mit 60 in Jeans gegeneinander vorgehen. Ob da nicht selbst die Würde einer 12 zügigen Kombination Schaden nimmt? Aber noch ist Karpov im schwarzen Anzug Weltmeister.

Doch selbst der angepaßte junge Mann „im schwarzen Anzug“ konnte in seiner Blütezeit die Massen elektrisieren, da er unverwechselbar- eben ein Typ war. Amüsant zu lesen, wie z.B. die „Stuttgarter Nachrichten“ im April 1977 das Phänomen Karpov anläßlich eines Uhrensimultan gegen 10 starke Amateure zu beschreiben versuchen. Mit großem Aufwand wurden sogar Fernsehkameras in die Daimler-Benz-Sporthalle montiert.

Ein gewisser KNITZ hat sehr genau hingeschaut:

„Was die Kameras freilich wenig zeigen konnten. waren die Hände Karpows: er hat Finger wie ein Pianist.Und wenn er ein Brett abräumt, tut er das zärtlich wie ein Antiquitätenhändler. Und er hat einen reizenden Adamsapfel. Vor welchem Brett er auch immer stand: erst ging der Adamsapfel dreimal rauf und runter. Dann guckte er den jeweiligen Spieler an, als singe Karel Gott das Lied von der Moldau. Dann strich er sich die Haare vor dem Ohr nach unten. Dann räumte er das Brett ab. Oder er wippte wie eine Taube mit dem Kopf und zählte offenbar an den Feldern ab, was geht und was nicht geht . Alles an ihm ist rasch, fein, leise, scheu, freundlich. Die Sowjets zeigen ihre zweite Generation vor, und da geht schon einiges wieder zurück auf Dostojewski….“

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Eine Antwort zu Dostojewski,Boticelli und Karel Gott – Als Schachmeister noch Typen waren

  1. Leidensgenosse i.R. sagt:

    Jaja, mein Lieber, das waren noch Zeiten und es gab noch echte Typen. Man kannte fast alle Großmeister und auch heimische IM und FM waren einem bekannt. Bei den heutigen Mengen an GM, IM und FM, sorry, aber die meisten gleichen sich wie ein EI dem anderen. Ich sehne mich nach den alten „Typen“. Danke für deinen schönen Bericht.

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