Das Drama des unbegabten Schachlehrers

Seit einigen Wochen schlich ich um die Einlösung eines vermaledeiten Versprechens herum: Meine Schwägerin hatte mir im Rahmen einer Großfamilienzusammenführung (Mutters 79.Geburtstag) stolz berichtet, daß ihr Jüngster (7) angefangen habe, S C H A C H  zu spielen und auch die S C H A C H  AG der hiesigen Grundschule fleißig besuche. Sie bat mich , doch mal in Kürze gegen den Kleinen eine Partie zu spielen. Er würde sich sehr darauf freuen, und sie habe ihm auch fest versprochen., dass ich dies gerne machen würde…Ich hatte vage – verlegen lächelnd – zugestimmt, da ich dies als meine Onkelpflicht erachtete. " Ja, ja, wenn ich mal Zeit habe, gerne, na klar, das freut mich sehr, dass der Kleine tatsächlich Schach lernen will, da kann ich ihm vielleicht ein wenig helfen"… usw. Und ich fügte mit kräftiger Betonung hinzu:" Das Wichtigste beim Schach ist, dass man das Verlieren lernt!!"  – Damit hatte ich – eher unbewußt – einen Kontrapunkt zu der immens verwöhnenden Erziehungspraxis des Neffenhaushalts markiert.

Nach einigen Wochen des Hinhaltens, Ausweichens,Ignorierens, erfolgreichen Verdrängens, fuhr ich  unbeschwert zu meiner Mutter, die gerade aus dem Urlaub heimgekehrt war. Ich lauschte gern ihren sonnendurchtränkten Erinnerungen, als plötzlich die Haussirene schrillte: Ein Kind stand vor der Tür, das aus der Nachbarwohnung  geeilt war, um den Onkel zu begrüßen. Der Kleine trug ein zusammengeklapptes Holzschachbrett in Schulterhöhe triumphierend vor sich . " Heute spielen wir Schach!" tönte entschlossen das helle Stimmchen und schon knallte das Brett auf den Kaffeetisch. "Wir spielen nebenan am großen Tisch", sagte ich kapitulierend und packte die Utensilien unter den Arm. Schon öffnete sich erneut die Tür, und die Mutter des Eleven und auch  mein Bruder eskortierten das Schachkind in den Spielsaal.  Ich nahm im butterweichen Sessel Platz, so dass mein Gegner  mir tatsächlich in Augenhöhe gegenüber saß. Das gescheit(elt)e  kleine Köpfchen mit den braunen Rehaugen hatte die Figuren regelgerecht aufgestellt (ich bekam ungefragt die schwarzen Steine) und eröffnete mit 1.e4. "Das spielen die meisten" schob er nach, bevor ich mein weiteres Vorgehen strukturieren konnte. Nachdem ich artig 1….e5 entgegnete, folgte spontan 2.a4 . Stolz äugten die Eltern auf weitere Armbewegungen  des Schachschülers, die ich in bester Onkelmanier mit netten Lobesworten begleitete. Er hatte alle Bauern hintereinander gezogen, und ich war gespannt, ob er auch die Offiziere ins Feld führen könne. Tatsächlich, mit leichter Hilfe des Vaters, der das Pferdchen aus dem Stall führte , und weiteren Hilfsaktionen  standen irgendwann die Figuren auf dem Schachbrett herum. Ich bewegte meine Figuren nur bis zur Mittellinie, um keinen Schaden anzurichten. Die beiden Heere standen sich irgendwann gefahrlos gegenüber, und ich wußte plötzlich nicht mehr, wie ich die Harmonie auf dem Brett beibehalten konnte. Mein Bruder schaute mich etwas verwundert an, da ich eine Springergabel mit Damengewinn "übersehen" hatte. Rehauge hüpfte vor Freude, die zugbegleitenden Lobesworte der Eltern zeigten ihre Wirkung, und auch ich kratzte mir sorgenvoll die Stirn, staunte und frohlockte ob der "tollen" Züge des Eleven. "Das Wichtigste beim Schach ist das VERLIERENLERNEN", schoß es mir plötzlich durch den Kopf, und schon entlud sich in mir ungeschützt der gesamte Haß auf die verwöhnten Kinder, auf die Eltern, die sich zum Personal ihrer kleinen Herrscher degradieren lassen, auf die gesamte Kindergarten-und Grundschulpädagogik, die jahrelang schon für das bloße Ein-und Ausatmen der Kinder Bestnoten verteilte…Ich spielte auf einmal rücksichtlos auf Gewinn, kommentarlos.Die Eltern fingerten unbeholfen  im weißen Lager herum. Der Kleine konnte keinen einzigen Zug mehr ausführen, ohne dass ihm der Arm, dann die Hand geführt wurden. Diese Eltern würden ihr Leben geben, wenn sie dem Kind eine Niederlage ersparen könnten.

Ich kapitulierte innerlich: Mit Inbrunst führten die Eltern die kindliche Zughand, um mir nachaneinder alle verbliebenen Leicht-, dann Schwerfiguren abzuluchsen. Beide Elternteile durften dann gemeinsam das Mattnetz, das wir alle gemeinsam für mich geknüpft hatten, zuziehen: " Und, was ist der Onkel jetzt?".krähte der Vater:

"MATT" !!!     schrie das Kind.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

9 Antworten zu Das Drama des unbegabten Schachlehrers

  1. Mario sagt:

    Hallo!

    Es gab an der Versuchsschule natürlich keine Vergleichsklassen, da ja in allen Klassen Schach unterrichtet wurde, sondern es gab eine Vergleichsschule.

    Auch für Kinder ist es wichtig zu lernen, mit Niederlagen umzugehen, Rückschläge wegzustecken und sich wieder aufzurappeln. Im Übrigen ist es im Sport immer so, dass es Gewinner und Verlierer gibt. Im Vordergrund sollte hier nicht der Sieg oder die Niederlage stehen, sondern vielmehr die Qualität der Partie! Im Schach kann eine verlorene Partie super gespielt worden sein, z.B. hat dein Schützling super gekämpft und lange gut mitgehalten… und wenn dann der Trainer das Positive an der Partie hervorhebt, kann auch eine Niederlage für einen Motivationsschub sorgen! Wer seinen Sport liebt, wird lernen, mit Niederlagen zurechtzukommen und ihn nicht nur wegen der möglichen Siege ausüben!

    Ich denke Verlust und Niederlage als ein Prinzip zu bezeichnen, welches mit den Kindern eingeübt werden soll, ist schlicht und ergreifend falsch. Vielmehr sollten die Partien und deren Qualität im Vordergrund stehen. Im Wettkampf messe ich mich dann mit meinen Gegnern, das ist nichts Ungewöhnliches.

    Meiner Meinung nach ist Schach ein Denksport, kein Kampfsport oder gar Killerspiel. Auf jeden Fall ist es eine sehr sinnvolle Freizeitbeschäftigung für unsere Kinder und Jugendlichen.

    Grüße
    Mario

  2. Extra wegen dieser Studie wollte ich mir keinen PowerPoint-Reader installieren, den ich sonst nie brauche. HTML oder ein normales Textformat wäre besser. – Trotzdem aufgefallen: Wenn in ALLEN Klassen Schach unterrichtet wurde, gab es ja an dieser Schule gar keine Kontrollgruppe (mit/ohne Schach) zum Vergleich?!

    Wie dem auch sei… meine Skepsis bezieht sich wie gesagt auf eine ernste wettbewerbsmäßige Ausübung. Und da ist eben die Niederlage des Gegners dein Erfolg. Sollen kleine Kinder so ein Prinzip einüben?

    Ich denke, Ligaspieler werden zustimmen, daß Schach – als Sport ausgeübt – ein Kampfsport ist; was sonst? „Killerspiel“ ist nur ein populäres Synonym für Kriegsspiel. Alles nicht von der Hand zu weisen. Schach hat diese Bandbreite. Wo viel Licht ist, dort ist auch starker Schatten.

  3. Mario sagt:

    Hallo Leute!
    Offenbar hat unser Schachfreund Permanent Brain die Studie nicht gelesen! Denn aus ihr geht eindeutig hervor, dass leistungsschwache Kinder vom Schach im Verhältnis deutlich mehr profitieren, als leistungsstarke Schüler. In der Versuchschule wurde nämlich in allen Klassen Schach unterrichtet.
    Dass nur leistungsstarke Schüler Schach spielen halte ich für ein Gerücht! Nicht jedes Kind spielt Schach leistungsorientiert. Wenn es bei dir also enttäuschte und frustrierte Kinder im Verein gibt, solltest du unbedingt was am Training ändern! Bei mir sind auch nicht alle Talente, dennoch haben alle Spaß und kommen gern zum Training.
    Dass nur die „Wunderkinder“, wie du sie nennst, im Rampenlicht stehen, ist kein Phänomen des Schachsportes, sonders von allen Sportarten. Hier sollte man aber eindeutig zwischen Leistungs- und Breitensport unterscheiden und nicht alles in einen Topf werfen, umrühren und sehen was rauskommt! Schach an Schulen hat mit Sicherheit nichts mit Leistungssport zu tun! Dass Schulschach, vor allem in der Grundschule, eine hervorragende Möglichkeit ist, Talente zu sichten und die Basis für die Vereine bilden sollte, ist unbestritten und muss weiter ausgebaut werden!
    Leider muss aber festgestellt werden, dass sich das Alter, in dem Leistungstraining üblich ist, von der Jugendzeit in die Kindheit verschoben hat. Hier noch von einem kind- bzw. altersgerechten Training zu sprechen halte ich für zweifelhaft, obwohl dies ja in anderen Sportarten, wie z.B. Turnen oder Eiskunstlaufen, unablässig für den Erfolg ist. So geht heute das Rennen um den “Titel“ des jüngsten Großmeisters aller Zeiten von Bobby Fischer über Peter Leko zu Etienne Bacrot … in eine Altersklasse, in der man früher nicht einmal die IM-Stärke für möglich gehalten hätte.
    Auch wird Schach nicht idealisiert – im Gegenteil. Oft wird die mangelnde Bewegung von den Eltern als Argument angeführt, ihr Kind doch lieber zu Fußball oder anderen Sportarten zu schicken.
    Erst setzt du Schach mit Killerspielen gleich, nun mit geistigem Kampfsport – absurd! Ich bin gespannt, womit du das nächste Mal kommst.

    Grüße
    Mario

  4. Daß Schüler die Schach spielen, bessere Leistungen (in manchen Fächern) erbringen als solche, die nicht Schach spielen, liest man oft. Ich argwöhne da immer eine Verwechslung von Ursache und Wirkung. Kinder die an sich gut in Mathe oder Geometrie usw. sind, oder dafür eher talentiert sind, liegt offenbar diese Art des Denkens, und so werden sie sich auch gern mit Schach beschäftigen. Logisch, daß dann bei Studien die „Schach-Kinder“ auch in diesen Fächern relativ besser sind. Deswegen ist aber das eine nicht die Ursache des anderen.

    Ich finde es schön, wenn in der Schule Schach gelernt und gespielt wird, aber es kommt mir vor, daß es oft idealisiert wird. Gerne werden die erfolgreichen „Wunderkinder“ herausgestellt – die enttäuschten und frustrierten bleiben hinter den Kulissen.

    Bezüglich kooperativer Arbeit im Team hätte ich eher an gemeinsame Analysen, Austausch von Eröffnungswissen oder auch Beratungspartien gegen Trainingsgegner (z.B. Computer) gedacht.

    Damit man mich nicht mißversteht, ich will das nicht vollkommen schlechtreden, aber es wird meist so schöngefärbt dargestellt, daß ich dachte die Schattenseiten müssen auch Mal gesagt werden 🙂 Schach, konkurrenzbetont ausgeübt, ist definitiv ein geistiger Kampfsport.

  5. Mittlerweile zweifle ich, ob Schach für Kinder geeignet oder empfehlenswert ist, obwohl klar ist daß Talente so früh wie möglich entdeckt und gefördert werden sollten. Aber Schach ist eine der grausamsten Sportarten. Es wird so viel über Killerspiele diskutiert… Schach ist das wahre Killerspiel! In einer wirklich ernsten, schweren Partie mußt Du den Gegner vernichten wollen. Diese Betrachtung wird noch ergänzt durch verschiedene schlechte Eindrücke, die man beim Onlinespielen bekommt.

    (Natürlich gibt es auch gegenteilige Eindrücke und Erfahrungen, unbestritten.)

    Ich finde, für Kinder ist wichtiger zu lernen und einzuüben, wie man im Team zusammenarbeitet und einander hilft, nicht wie man einander mit maximaler Energie bekämpft. – Viellecht kann man Schach ja auch „kooperativ“ vermitteln, gemeinsame Analyse und so. Aber sonst habe ich Zweifel.

  6. Fetzo sagt:

    Hi Carlo.

    Als (unbegabter) Trainer,der das Ganze bereits seit 10 Jahren macht,kenne ich das Problem auch.
    Ich selber lasse die „Kleinen“ aber höchstens mal ne Übungsstellung gewinnen,niemals aber freiwillig ne ganze Partie. Schön find ich immer die Gesichter,wenn sie mir eine Gewinnpartie zeigen wollen und ich nur Interesse an Verlustpartien habe. Nach ner Zeit haben, bis jetzt ,aber alle kapiert worum es dabei geht:
    Man kann nur aus verlorenen Partien lernen und besser werden!!!

    Gruß Fetzo

  7. Ulrich Kirschbaum sagt:

    Im Alter von 4Jahren durfte ich zu schauen wenn Opa mit seinem Bruder spielte, aber ja nicht reden. Ein Jahr später erbarmte sich mein Opa und ich spielte meine erste Schachpartie. 4 Jahre hat es gedauert, ich gewann zum ersten Male gegen Opa, was für ein Tag! Wizzard

  8. alms sagt:

    Dieses Problem habe ich auch, wenn ich gegen Kinder oder Anfänger spiele. Soll man sie gewinnen lassen? Oder Remis? Oder nur langsam gewinnen? Ich weiß nicht, das ist das Schwierige am Schachspiel, man kann als Anfänger nicht bis zum Ende gucken. Man kann das Spiel nicht überblicken, sondern muss an jedem Zug neu Freude finden. Geht mir beim Go z.B. auch so. Keine Ahnung, ob ich gut oder schlecht stehe.
    Der Hinweis auf elementare Endspiele ist wahrscheinlich richtig. Erstmal K gegen K+D verteidigen, dann gegen K+T.

  9. Thomas Wolf sagt:

    Wenn die Kinder – nicht die Eltern – das Spiel wirklich lieben, dann können sie auch verlieren; wenn nicht, dann werden sich die Kinder später über ihre Ungeduld ärgern.
    Übrigens: vielleicht sollte man nicht komplette Partien spielen, sondern elementare Endsoiele einüben, dann kann man getrost verlieren und die Kinder erhalten eine „positive Bestärkung“ sich weiter mit Schach zu beschäftigen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert