Im Sommer 1975 fuhren wir ( 6 Studenten der Uni Düsseldorf) nach Stuttgart, um gegen die dortige Uni-Schachabteilung einen Vergleichskampf auszutragen .Unser Obmann , Mediziner und Patzer in Personalunion, hatte den dicken Mercedes seines Vaters organisiert und chauffierte uns bei brütender Hitze und atemberaubender Geschwindigkeit über die Autobahn. Die Gedanken ans Überleben beschäftigten uns mehr als die übliche Angst vor den Schachkünsten unserer Gegner.
Wir stiegen aus , blaß, hungrig, fix und fertig. Ein geräumiges Lokal mit separatem Gesellschaftsraum(Turniersaal) empfing uns ebenso wie die freundlichen Gastgeber, die schon alles vorbereitet hatten .Als der Mannschaftsführer der Schwaben gerade zur Begrüßungsansprache ansetzen wollte, hob unser Rennpilot leise die Hand und erbat eine 15 minütige Verschiebung des Kampfes, damit wir noch etwas essen konnten.Stattgegeben. Pommes, Schnitzel,Salat etc , es gab keine Kompromisse.Es war die pure Not. Dann allerdings, die Servietten noch mit Restmayonnaise getränkt,stellte sich eine satte Erschöpfung ein, die wohl als „Freßnarkose“ zusammengefaßt werden kann.
Die Gegner nahmen Platz und schauten begierig (ungeduldig?) in den Speiseraum, wo plötzlich unser Obmann ein Tütchen aus seiner Medizinerjacke hervorzauberte.“Wenn ihr wollt, ich habe hier ein paar Aufputschmittelchen, AN 1, ausnahmweise, das belebt „. Wir griffen einfach zu und warfen die Pillen en passant in unsere Kehlen. Der Kampf konnte endlich beginnen.
Mein Gegner gab mir freundschaftlich die Hand. Wir wünschten uns „eine spannende Partie“ und vor allem „viel Spaß“.
Heiming (Düsseldorf) – Schwab (Stuttgart)
1. e4 e5 2.Sf3 d6 3.d4 Sf6 4.dxe5 Sxe4 5.Lc4 ich bemühte mich , langsam zu spielen, um die Hilfe meines „Sekundanten“ schon frühzeitig erleben zu dürfen. 5…c6 6.exd6 Lxd6 7.0-0 0-0 8.Dd4 eigenartigerweise fühlte ich mich recht wohl, obwohl ich diese Stellung noch nie auf dem Brett hatte. Ich lächelte unserem Medizinmann freundlich zu, der – aus irgendeinem Grunde – zufrieden nickte. 8…Te8 9.Sbd2 Sc5 10.b4 Se6 11.Lxe6 Lxe6 12.Lb2 f6 13.Tad1 Dc7 14.Se4
14…Lf8
Schon einige Züge vorher ratterten mir diverse „Schnellzüge“ durchs Gehirn, die in für mich ungewohnter Manier geschmeidig und elegant – jeden Crash vermeidend – in unglaublicher Klarheit ihre Strecken absolvierten. Ich war hellwach, alles schien transparent, einfach, es rechnete und tickte in mir , ohne das von mir gewohnte Chaos, ohne das Verheddern im Variantengestrüpp, das oft genug meine Züge entgleisen ließ. Nie war ich vor Ende der Partie jemals glücklich gewesen, jetzt jauchzte ich innerlich und hätte am liebsten einen geistigen tabledance vollführt. Ich war mir so wohltuend fremd, dass es mich schauderte…
15.Dxf6!! (die Ausrufungszeichen sind rein subjektive Erinnerungswertungen).Ich schwebte gen Schachhimmel. Meine Euphorie trieb mich völlig angstfrei in die Arme CAISSAS, wo ich – Medikamente wirken auf mich sehr stark, weil ich sie selten nehme – mit offenen Armen empfangen wurde. Die Muse hatte mich nicht nur geküßt, sie war mit mir schnurstracks ins Bett gegangen…15…gxf6 16.Sxf6+ Kf7 17.Sg5+ Kg6 Schmunzelnd hatte ich auf 17…Ke7 gehofft, um dann mit 18.Sg8+ Lxg8 19.Te1 + nebst Matt fortzusetzen.18.Sxe8 De7 19.Sxe6 Dxe6 20.Sc7 Dxa2 21.La1 Sa6 22.Sxa8 Lxb4 23.Td7 nun gut: Weiß hat 2 Türme für die Dame und „mannigfaltige Drohungen“, doch irgendwie macht sich leichte Ernüchterung (Müdigkeit?) breit. Die Wirkung der Pille läßt nicht nur allmählich nach, sondern eine bleischwere Müdigkeit bricht sich irgendwie Bahn. Mir fällt nicht viel ein, verdoppele die Türme auf der 7.Reihe oder später auch mal auf der g – Linie, völlig konfus bestelle ich mir einen Kaffee. Doch…
Irgendwie habe ich die Partie, die zwischendurch remislich, dann sogar eindeutig für mich verloren war, gewonnen.
Ich erspare mir und dem Leser die beiderseitigen schnöden Patzerzüge, die noch folgten.
Was bleibt , ist die Erkenntnis, dass Drogen im Schach lächerliche Hilfsmittel sind, und …
dass eine hingebungsvolle Verehrung der Göttin Caissa mehr zählt als ein schnöder Quickie…
hallo karl – stark!
nicht nur diese unheimlich schöne partie, dessen ende noch nie jemand zu gesicht bekam und dessen subgeschichte mit caissa du mir so auch noch nie schildertest. nein, generell dass du unter die blogger gegangen bist. weiter so – ich bin sicher, dass sich hier noch einige weitere perlen der schachkunst sinnvoll platzieren lassen!
freiheit für wattenscheid!!!