Seit fast unglaublichen 60 Jahren spiele ich Schach. Dabei geht es mir im Vergleich zu anderen Schachsenioren noch einigermaßen gut. Der sportliche Abstieg jedoch ähnelt einem stetigen Verkalkungsprozess, einhergehend mit leichtem Frust und doch auch seltsamen Nostalgieschueben.Ja früher war fast alles besser, vor allem die INGO – DWZ – und ELO Zahlen.Was tun? Aufhören ? (wenn es am schlimmsten ist?) Nein! Und nochmal Nein!
Sanft entschlossen probierte ich zeitweise , die von mir gewohnten Eröffnungssysteme abzulegen, vor allem die risikobehafteten Gambits. Traue meinem Gedächtnis nicht mehr gänzlich und verliere neuerdings den roten Faden und natürlich auch die Partie. Deprimierend auch der Versuch, mich in ein Doppelfianchetto einzunisten und auf Fehler des Gegners zu warten.Die alten Rezepte will ich über Bord werfen und schicke mich an, ein ziemlich skurriles Eröffnungssystem (mit Weiß) als Rettungsmöglichkeit auszuprobieren.
Letzte Woche die Generalprobe: Ich betrat den Spielsaal , setzte mich an Tisch 2, schraubte – mittlerweile nicht nur bei Profis Gewohnheit – die weißen Figuren schön einzeln in ihre Felder.
Kleiner Rundgang , Smalltalk und freundliche Witzeleien. In Gedanken schwankte ich noch ein wenig , wie ich tatsächlich eröffnen sollte, zumal mein Gegner recht spielstark ist. Zurück zu meinem Brett. Ich sehe plötzlich an der gegenüberliegenden Wand ein imposantes Bild , leicht links von unserem Brett.
Welch ein Zeichen an der Wand! Also mit leicht geschwellter Brust: 1. Sc3 !
Tatsächlich kam ich gut in den Parcours und fühlte mich leicht beschwingt.Doch allmählich wurden die Hindernisse immer anspruchsvoller. Ich drohte zu stürzen, konnte mich dann doch noch knapp im Sattel halten. Glückliches Remis!
Alternativ zu dem Wutausbruch von Magnus Carlsen gibt es glücklicherweise andere Herangehensweisen, mit Niederlagen umzugehen. Aus meinem Bücherschrank zupfte ich unwillkürlich einen veritablen Klassiker, der Haltung und Humor als Begleitmittel zelebriert:
KNAURS SCHACHBUCH von Martin Beheim – Schwarzbach (1953)
Ein Jahrhundert Schach in Meisterpartien –
DENKREDE AUF DIE BESIEGTEN (Auszug)
„Wenn von so hohen und edlen Dingen die Rede ist, ziemt es sich wohl, derer zu gedenken, die Dienste und zu Ehren Caissas, der Göttin des Schachspiels, auf der Walstatt blieben. Der Ruhm, der nach so vielen Stunden heftigen und leidenschaftlichen Nachdenkens in reichen, farbigen Kaskaden fließt, kommt immer nur dem zugute, der, nach einer alten Redensart, den vorletzten Fehler gemacht hat. Er, der Sieger, darf sich brüsten, er sei der bessere Mann gewesen. Wer aber den letzten Fehler gemacht hat, wird matt und muss sich und die Seinen mit vielen Darlegungen abspeisen lassen, warum er dran glauben musste.
Welch ein beredter und tiefsinniger Ausdruck ist das doch: dran glauben müssen. Ob er wohl aus dem Reiche des Schachbrettes stammt? Denn der Besiegte, wenn er es ernst nimmt mit seiner Niederlage und sie ums Verrecken nicht wahrhaben will, setzt sich wieder ans Brett, allein oder mit seinen Kiebitzen und Gefolgsleuten, und analysiert sich schier noch einmal zu Tode, um herauszufinden, woran es denn gelegen hat – bis er „dran glaubt“, nämlich an seinen Fehler, und wie er es hätte besser machen können, und er fragt sich bis zum Hirnerweichen, warum in aller Welt er es nicht besser gemacht hat, da er doch vieles so trefflich gemacht hat. Schon um des Fegefeuers dieser Analysen willen gehört ihm unser Mitgefühl.“
Das bewegte Leben des Autors, das auch weit über das Schachbrett hinausragte, ist vor einigen Jahren auf der CHESSBASE – Seite gewürdigt worden:
Ein weiterer humorgeprägter Altmeister , Josef Krejcik hat ebenfalls wunderbare (selbst) ironische Artikel aus der Wiener Schachszene überliefert.
Hier ein Beispiel wie man mit Niederlagen umgehen kann:
Josef Krejcik : Mein Abschied vom Schach (Auszug)
„Mit Weltmeistern hatte ich zweimal das Vergnügen, in Turnierpartien die Klingen zu kreuzen. Beidemal unterlag ich. Aber beide Partien hatten Begleitumstände, die ich doch registrieren muß. Gleich nach seinem großen Matchsieg gegen Dr. Tarrasch weilte Dr. Emanuel Lasker in Wien. Im Dezember 1908 veranstaltete der Wiener Schachklub eine Vorstellung, bei der Dr. Lasker gleichzeitig gegen Dr. Emil Meitner, Richard Reti und mich Partien mit 2 Stunden Bedenkzeit für 30 Züge spielen sollte. Er hätte also nur ein Drittel der Bedenkzeit seiner Gegner gehabt. Aber Dr. Lasker fasste die Sache praktisch auf. Er setzte sich zunächst vor Reti und hatte das Glück, dass dieser nach ganz wenigen Zügen einen groben Eröffnungsfehler machte und sofort aufgab. Die Affaire hatte kaum zehn Minuten gedauert. Dann setzte sich Dr. Lasker vor den greisen Meister Dr. Meitner, fest entschlossen, dem alten Herrn ein Ehren – Remis zu gestatten. Man spielte ein paar, tausendmal erprobte Züge der „Bindfaden – Variante“ und so um den 15.Zug trug der Weltmeister dem Altmeister zu dessen größter Freude Remis an. Dann aber kam er zu mir. Die beiden anderen Partien hatten ihm von seiner Bedenkzeit kaum 20 Minuten gekostet. Ich sollte nun in einer Partie mit fast gleichen Bedingungen das Objekt für eine weltmeisterliche Glanzpartie werden.
Aber es kam ein wenig anders. Ohne den geringsten Respekt vor dem damals auf seiner Höhe befindlichen Weltmeister steuerte ich sofort auf Verwicklungen los und gewann meinem erlauchten Gegner die Qualität ab. Leider aber benebelte der Siegestaumel nun mein Gehirn und wenige Züge später verlor ich die Qualität zurück, Im grenzenlosen Ärger darüber übersah ich noch eine spielend leichte Remisfortsetzung und so ergab sich ein Turmendspiel, das ich ebenfalls in keineswegs versteckter Weise leicht forziert remis machen konnte. Aber wenn man einmal vernagelt ist, so ist man es ordentlich. Ich fand so ziemlich den dümmsten Zug und verlor. Drei grobe Fehler waren nötig, um eine gewonnene Partie wegzuwerfen! Und dabei kann ich mich keineswegs mit Befangenheit einem Lasker gegenüber entschuldigen. Ich spielte auch nicht übertrieben schnell, sondern machte meine Fehler erst nach reiflicher Überlegung.
Die meisten Bücher, die ich lese und gelesen habe, sind weit von der Schachdroge entfernt. Doch manchmal werde ich überrascht, dass dennoch – ist es Zufall oder Fügung? – eine kleine literarische Schachnote eingearbeitet ist, bei der ich natürlich innehalte.
So geschehen bei der Lektüre von EDNA MAZYA „Über mich sprechen wir ein andermal“ (Kiepenheuer u.Witsch). „Ein brillantes, fesselndes Buch, das ich mit angehaltenem Atem gelesen habe.“ ( Zeruya Shalev).
Seite 226 „…Aber nun zu anderen Themen. Ich will nicht klagen und klage doch: An allen Fronten herrscht Düsternis! Außerhalb des Hauses habe ich keine Verpflichtungen, aber zu Hause hängt alles von mir ab. Und alles zerfällt, Sascha…Ich werde mit den einfachen Dingen beginnen: Von Otto gibt es nichts zu berichten außer dem, was Du längst weißt. Er ist verbittert und deprimiert, und alle sind schuld, nur er nicht. Zum Glück ist er kürzlich einem Schachklub beigetreten und kommt fast nur noch zum Schlafen nach Hause…„