Der Charme des Scheiterns

Alternativ zu dem Wutausbruch von Magnus Carlsen gibt es glücklicherweise andere Herangehensweisen, mit Niederlagen umzugehen. Aus meinem Bücherschrank zupfte ich unwillkürlich einen veritablen Klassiker, der Haltung und Humor als Begleitmittel zelebriert:

KNAURS SCHACHBUCH von Martin Beheim – Schwarzbach (1953)

Ein Jahrhundert Schach in Meisterpartien

DENKREDE AUF DIE BESIEGTEN (Auszug)

„Wenn von so hohen und edlen Dingen die Rede ist, ziemt es sich wohl, derer zu gedenken, die Dienste und zu Ehren Caissas, der Göttin des Schachspiels, auf der Walstatt blieben. Der Ruhm, der nach so vielen Stunden heftigen und leidenschaftlichen Nachdenkens in reichen, farbigen Kaskaden fließt, kommt immer nur dem zugute, der, nach einer alten Redensart, den vorletzten Fehler gemacht hat. Er, der Sieger, darf sich brüsten, er sei der bessere Mann gewesen. Wer aber den letzten Fehler gemacht hat, wird matt und muss sich und die Seinen mit vielen Darlegungen abspeisen lassen, warum er dran glauben musste.

Welch ein beredter und tiefsinniger Ausdruck ist das doch: dran glauben müssen. Ob er wohl aus dem Reiche des Schachbrettes stammt? Denn der Besiegte, wenn er es ernst nimmt mit seiner Niederlage und sie ums Verrecken nicht wahrhaben will, setzt sich wieder ans Brett, allein oder mit seinen Kiebitzen und Gefolgsleuten, und analysiert sich schier noch einmal zu Tode, um herauszufinden, woran es denn gelegen hat – bis er „dran glaubt“, nämlich an seinen Fehler, und wie er es hätte besser machen können, und er fragt sich bis zum Hirnerweichen, warum in aller Welt er es nicht besser gemacht hat, da er doch vieles so trefflich gemacht hat. Schon um des Fegefeuers dieser Analysen willen gehört ihm unser Mitgefühl.“

Das bewegte Leben des Autors, das auch weit über das Schachbrett hinausragte, ist vor einigen Jahren auf der CHESSBASE – Seite gewürdigt worden:

Wer war Martin Beheim-Schwarzbach? | ChessBase

Ein weiterer humorgeprägter Altmeister , Josef Krejcik hat ebenfalls wunderbare (selbst) ironische Artikel aus der Wiener Schachszene überliefert.

Hier ein Beispiel wie man mit Niederlagen umgehen kann:

Josef Krejcik : Mein Abschied vom Schach (Auszug)

„Mit Weltmeistern hatte ich zweimal das Vergnügen, in Turnierpartien die Klingen zu kreuzen. Beidemal unterlag ich. Aber beide Partien hatten Begleitumstände, die ich doch registrieren muß. Gleich nach seinem großen Matchsieg gegen Dr. Tarrasch weilte Dr. Emanuel Lasker in Wien. Im Dezember 1908 veranstaltete der Wiener Schachklub eine Vorstellung, bei der Dr. Lasker gleichzeitig gegen Dr. Emil Meitner, Richard Reti und mich Partien mit 2 Stunden Bedenkzeit für 30 Züge spielen sollte. Er hätte also nur ein Drittel der Bedenkzeit seiner Gegner gehabt. Aber Dr. Lasker fasste die Sache praktisch auf. Er setzte sich zunächst vor Reti und hatte das Glück, dass dieser nach ganz wenigen Zügen einen groben Eröffnungsfehler machte und sofort aufgab. Die Affaire hatte kaum zehn Minuten gedauert. Dann setzte sich Dr. Lasker vor den greisen Meister Dr. Meitner, fest entschlossen, dem alten Herrn ein Ehren – Remis zu gestatten. Man spielte ein paar, tausendmal erprobte Züge der „Bindfaden – Variante“ und so um den 15.Zug trug der Weltmeister dem Altmeister zu dessen größter Freude Remis an. Dann aber kam er zu mir. Die beiden anderen Partien hatten ihm von seiner Bedenkzeit kaum 20 Minuten gekostet. Ich sollte nun in einer Partie mit fast gleichen Bedingungen das Objekt für eine weltmeisterliche Glanzpartie werden.

Aber es kam ein wenig anders. Ohne den geringsten Respekt vor dem damals auf seiner Höhe befindlichen Weltmeister steuerte ich sofort auf Verwicklungen los und gewann meinem erlauchten Gegner die Qualität ab. Leider aber benebelte der Siegestaumel nun mein Gehirn und wenige Züge später verlor ich die Qualität zurück, Im grenzenlosen Ärger darüber übersah ich noch eine spielend leichte Remisfortsetzung und so ergab sich ein Turmendspiel, das ich ebenfalls in keineswegs versteckter Weise leicht forziert remis machen konnte. Aber wenn man einmal vernagelt ist, so ist man es ordentlich. Ich fand so ziemlich den dümmsten Zug und verlor. Drei grobe Fehler waren nötig, um eine gewonnene Partie wegzuwerfen! Und dabei kann ich mich keineswegs mit Befangenheit einem Lasker gegenüber entschuldigen. Ich spielte auch nicht übertrieben schnell, sondern machte meine Fehler erst nach reiflicher Überlegung.

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